25. November 2017

Beichten in Regensburg

Regensburg, Ostbayern, an der Donau zwischen Passau und Ingolstadt, näher an Passau und Österreich – ist mehr als nur eine Beichte wert. Doch der Reihe nach.
Der Rhein bei Remagen
Weitläufiges Bayern
Oft beginnt ein langes Wochen­en­de in Wien – aus Deutschland – mit dem ICE 27 Hamburg—Wien; ein kleiner Orient­ex­press im ICE-Gewand aus dem Norden,Wien an 18.45.
   Landschaftlich geht es ruhig den Rhein hinauf, dort wo er schön ist. In Frankfurt, Sack­bahn­hof, macht er dann eine Spitzkehre. Danach ist die Donau dran. Bevor die aber offensichtlich schön wird, burgenbepflanzt, hält er von kurz vor halb vier am Nachmittag, 15.24 (oder immer etwas später), in Regensburg, zwei Minuten lang. Der Bahnhof ist nichts Besonderes. – Sie sollten aber unbedingt rasch aussteigen und einen Tag überspringen. Lassen Sie Wien warten! Regensburg ist viel seltener, kleiner, feiner; und wenn Sie nicht gerade am Abend die Oper in Wien verpassen, so sollten Sie wirklich einmal »abspringen« in Regensburg.
   Ich hatte mich im schlicht-modernen Hotel Ibis angemeldet, knapp 85 Euro die frühstückslose Nacht, direkt am Bahnhof, Südseite (die Stadt liegt nördlich bis zur Donau. Noch billiger ist dort das oder die Star Inn, aber da gefällt mir den Name nicht. Sie können, sofern wohlhabend, auch stilvoll im zentralen Bischofshof nächtigen …
   Für den Abend empfehle ich einen explorativ-stimmungsvollenen Rundgang durch die (amtlich an die Welt vererbte) Altstadt und an die Brücke über die Donau (nur einen Nebenarm). Nirgends fließt das Wasser so schön unter einer Brücke durch, nicht in Florenz, Venedig oder Salzburg.
Am nächsten Morgen blicken Sie vielleicht aus Zimmer 401 – einem Kleinod, deutsch betont auf Klein – auf die gotisch-barock durchbrochenen Tür­me des Doms, ganz in der Ferne, sehen Sie sie im Bild? Frisch gesinnt machen Sie sich (noch nüchtern) über die lange Bahn-Ba­lus­tra­de wie­der zurück auf den Weg in die mor­gen­frische Stadt.
   Durch den Bahnhof kommt man schur­stracks in die hier stark automobilbefreite Pracht- und Maximilianstraße – wir sind in Bayern! 
   Links Nummer vier ist das Café Fürstenhof, kündend von besseren Zeiten, volleren Kaffee­häu­sern, und – eben – Fürstenhöfen. Dort gibt’s eine gute Auswahl nicht zu teurer Frühstücke im Ambiente eines Wiener Kaffeehauses, nur die Zeitungsauswahl ist provinziell. Ich ließ mir ein »englisches Frühstück« zubereiten, und war anfangs der einzige, erste Gast am gehörigen Marmortischchen.
   Wandert man weiter g’radeaus kommt man zur Kameliterkirche Sankt Joseph, rechts, bescheiden, arbeitsam, für den Gebrauch einfacher Christen. Die Spezialität ist hier das Beichten, die Karmelitenkirche »gilt als die Regensburger Beichtkirche schlechthin«. (Säkular sind die Karmeliter eher für den »Echten Regensburger Karmelitengeist« bekannt.)
Dieses Angebot der Karmeliter ist meines Wissens deutschlandweit einzigartig und über Regensburg  hinaus bekannt. Sozusagen ein katholisches Welterbe, aus einer fernen Zeit. Instant Relief; ich kam direkt dran. Gebeichtet wird in einem Beichtzimmer rechts am Kreuzgang. Pater Sebastian – Name wegen Vergesslichkeit geändert – begrüßt freundlich den Sünder, zieht den Vorhang zu, während er sich in die bekannte Schräglage setzt, Ellbogen aufgestützt, Ohr zum Gläubigen. (Un- und Andersgläubige können bei Don Camillo und Peppone nachsehen.)
   Die Absolutionsansprache war nicht der übliche Testlauf für die Sonntagspredigt oder sonst allgemeine gute Ratschläge. Der Pater erinnerte daran, dass im November der Verstorbenen gedacht wird. Sie sitzen, wo sie sitzen – er vermied geschickt, das »Purgatorium« zu benennen – und warten dort darauf, ihre unvermeidlichen Sünden loszuwerden. Unser Gebet kann ihnen dabei helfen, so wie sie dann später durch Beten uns auf Erden helfen können, ein wenig weniger zu sündigen. Er sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, einer Klarheit, als sei’s eine Prise Salz, die man einem Kochrezept zufügt. Gläubig, ganz gläubig. Das ist so. Folgerichtig kam ich um die üblichen zwei oder drei Vaterunser herum, und wurde auf die Litanei für die Verstorbenen verwiesen, Gesangbuchnummer 569. Welch ein Glaube!
   Die Frühmesse war gerade zu Ende. Geht, ihr seid gesandt. Viele blieben noch, als wollten sie sich nicht so schnell lösen aus dem Raum des Glaubens. Ich habe noch ein wenig fotografiert, getrödelt, mir die beleuchtbare »Krippe«, den »Tod des hl. Josef« angesehen. – Soviel für heute, morgen vielleicht dann mehr. / Da bin ich wieder. Übrigens ist die Geschichte nicht wirklich ganz wahr. Statt dem abendlichen Regensburgrundgang hörte ich im Salzstadel einen exzellenten juristisch-rechtlich-gesellschaftlichen Vortrag über die nach 38 Minuten Parlamentsdebatte eingeführte »Ehe für alle«. Mehr dazu auf meinen Bildern. Hier nur eine Anekdote (den Google-Maps nur so kennt: 49.0206255,12.0993853). Richtig voll Salz war der Salzstadel nie; er sollte in seiner Größe nur das gegenüberliegende Ufer beeindrucken. Nun am Vormittag weiter in Regensburg.
»Judensau«, begrapscht von drei Juden
   Nach dem Karmeliterkloster wanderte ich zum Dom nebenan, hell in Novembermorgensonne der alles überragende Dom. Mit Ludwig (oben, verstorben) sah ich mir (unten, schön lebendig) die Süd­fassade an, entdeckte hoch oben noch Heilige am Nordturm, und unten eine mittelalterliche, recht abgenutzte »Judensau« samt salvatorischer Erklärung auf Plexiglas von 2005, die mich erst draufgebracht hat.
Innen überwältigt mich der Re­gens­dorfer Dom jedesmal, in seiner Größe, seiner Ruhe, seinem Licht – besonders der strahlenden Muttergottes mit Kind und der Fenster. Am Ausgang stand seitlich noch ein eng umschlungenes küssendes Paar in Sandstein, ob gleichen Geschlechts ist nur zu vermuten.
   Weiter ging’s durch die fröhlich-helle, barocke Stiftskirche hinunter zum Fluss. Die Steinerne Brücke ist nach wie vor zum Teil eingerüstet. Seit Jahren kenne ich sie nur so, eine moderne Dauerbaustelle. Schlüpft man unter dem ersten Brückenbogen durch, sieht man die schönsten Wir­bel und Wall­un­gen eines ordentlichen Flusses in Deutschland. – Wie so vieles in Regensburg möge man dergleichen  selbst entdecken!
»Ein Gruß aus der Küche«. l’osteria, Watmarkt 1
Wieder hinauf in die enge Altstadt wandernd verlockte mich ein Risotto für neun Euro in einer Osteria, freilich einer so genannten Kette, jung unf fröhlich. Das Risotto war gut, sämig wie’s gehört, ein wenig versalzen halt: Chef (?) und eine junge Kellnerin sind offen­sichtlich beidseitig ineinander verliebt. Dazu ein kleines Helles von Paulaner – gibt’s auch nicht im Norden, süß und ruhig.
   Hernach landete ich im ausufernden Laden der beiden Kosters, Tändlerei genannt. Ein Tandler ist im Süddeutschen ein in Tand Machender; im Norden ist vom so vielseitigen Beruf nur mehr der Familienname übrig geblieben. Ähnlich Weinzierl, »im Ober­deut­schen ein Winzer«. Frau Kosters, süddeutsch freundlich, kannte sich aus mit
Klein­an­tiqui­tä­ten. Ich hab’ ihr mein halbes Leben erzählt, was für sie spricht, find’ ich – weniger wohl für mich. Glasbläserei, frei geblasene Stücke, Stücke mit Naht, China, Amerikaner auf der Suche nach Raritäten zu Chinapreisen, alte Kunst, Schönes zu machen, zu schnitzen, Design, Ramsch – beileibe nicht Tand. Was mich wirklich interessierte: bleibt unveröffentlicht …
   Noch ein wenig Wandern durch die Altstadt, vielleicht ein Besuch auf einem der Türme, vielleicht gleich dem »goldenen« Geschlechterturm. Und dann wird’s langsam Zeit, um ohne Hast und Sünd’ um 16.26, knapp halb fünf also, auf Gleis neun, die für einen langen Moment, für ein ehrliches Stück Leben, unterbrochene Reise abendlich wieder aufzunehmen.

Permalink hierher: https://blogabissl.blogspot.com/2017/11/beichten-in-regensburg.html

Danksagungen der Österreichischen Bundesbahn für Strom und unproblematisches W-Lan im ICE, WIFIonICE. Konstant und ausreichend schnell, vielleicht eine Minute für das Hochlanden eines Zwei-Megabyte-Bildes.

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