20. Dezember 2016

Christen und Kapitalismus, etwas Kant

Die Neue Zürcher Zeitung auf http://www.nzz.ch/feuilleton/zeitgeschehen/christentum-und-kapitalismus-dieser-markt-ist-menschlich-ld.135447:
Soweit der Titel. Lesen Sie’s! ’s ist kurz und klar. Und ärgern Sie sich nicht (gleich), siehe mein PS unten.
   Als Meinung kommt das freilich sehr pointiert daher, sodass sich Markt, Kapital, Liberal- und andere -ismen in einem Topf zusammen wiederfinden. Wie sehr wir diesbezüglich an Vorurteilen kleben, uns gegenseitig belehren, beneiden und verwirren, liest man aus den spontanen Leserkommentaren unter dem Artikel. 
   Also gleich gesagt: Für mich ist inzwischen der reichste »Marktteilnehmer« der Staat, und er macht seine Arbeit im Vergleich zu sonstigen Reichen einfach schlecht (und nebenher wenig christlich). In Bonn besonders.
   Doch zurück zum Thema, wenn Sie mir noch folgen mögen.
   Da will ich der interessanten Bemerkung nachgehen: »Eine andere Ursache der Spannung ist die von Friedrich August von Hayek kritisierte Übertragung der Gesetze der kleinen Gemeinschaft auf die grosse Gesellschaft. Die ideale christliche Gemeinschaft ist nicht der Staat, sondern die Familie (mit ihren modernen Spielarten). In solchen Gemeinschaften können Liebe, Mitgefühl und soziale Verantwortung statt Macht und Hierarchie als Bindeglieder dienen. Hier kommt die Sozialnatur des Menschen zum Ausdruck, hier kann sogar Kommunismus herrschen, nicht dagegen in einer Stadt oder einem ganzen Land.«
   Ich hab’ eben über schwäbische Auswanderer ins Zarenreich von 1816 gebloggt, die bis zu den Wirren der totalitär-kommunistischen Zeit hundert Jahre lang mit Andersgläubigen, Anderssprachigen, anders denkenden Völkern friedlich zusammengelebt haben, in getrennten Dörfern. Wär’ das nicht ein Modell für heute?
   Ich bin ein Verfechter kleiner Solidargemeinschaften. Das geht – ein wenig scherzhaft – bei mir so weit, dass ich Vielweiberei empfehle und überhaupt Gemeinschaften bis zu, sagen wir, fünf Männlein und oder Weiblein als steuerbegünstigte »Lebenspartnerschaft« zuließe, da sie doch dem Staat so manche Sorge und Zahlung ersparen können, durch ihre Solidarität …
F.A.Hayek (1899—1992) 1981
   Wieder zu Hayek: »Hayek beschrieb in den 1940ern die praktischen Probleme mit dem Planen von oben nach unten: ›Es liegt wenig Schwierigkeit im Planen der Wirtschaftslebens einer Familie, vergleichbar wenig in einer kleinen Gemeinde. Aber wenn der Maßstab größer wird, verringert sich das Maß an Zustimmung zu den angestrebten Zielen, und die Notwendigkeit, sich auf Gewalt und Zwang zu verlassen, wächst. In einer kleinen Gemeinschaft wird es in sehr vielen Angelegenheiten gemeinsame Sichtweisen über die relative Wichtigkeit der Hauptaufgaben und über anerkannte Wertmaßstäbe geben. Aber ihre Zahl wird weniger und weniger, je weiter wir das Netz auswerfen: und da es weniger Gemeinsamkeit der Sichtweise gibt, wächst die Notwendigkeit zu Gewalt und Zwang ... Die Vorstellung, dass das Wirtschaftsleben eines großen Gebietes, das viele verschiedene Völker umfasst, mittels demokratischer Prozeduren dirigiert oder geplant werden kann, verrät das völlige Fehlen eines Bewusstseins über die Probleme, die das aufwerfen würde. Für Planung in internationalem Maßstab gilt noch mehr als bei nationalem Maßstab, dass es nichts anderes als nackte Gewaltherrschaft sein kann, die von einer kleinen Gruppe allen anderen aufgezwungen wird, mit den Standards und Verfahren, welche die Planer als für den Rest geeignet ansehen.« (Quelle). Für uns »Europäer« klingt das sehr krass, zeigt sich aber vielleicht leider als richtig.
   Beim kantschen Imperativ, den inzwischen jeder Âtheist »unterschreiben würde«, müssten wir an der Regel arbeiten: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde«. Also: Wie allgemein? Im kleinen Kreis, in Familie, Gemeinde, Staat oder in halb Europa? Denn was im Kleinen gut und tragbar sein mag, ist’s nicht unbedingt im Großen.
    
Weitere Links: 
http://blogabissl.blogspot.com/2017/03/solidaritat-zu-huhnern.html  

http://www.libinst.ch/publikationen/LI-Studie-Prollius-Gerechtigkeit.pdf

https://shop.freiheit.org/download/P2@47/6598/22-Verfassung-Prollius.pdf 

http://blogabissl.blogspot.com/2016/12/wunsche-die-kirche.html

Link hierher:
http://blogabissl.blogspot.com/2016/12/christen-und-kapitalismus-etwas-kant.html

PS. Die Replik gab’s prompt an derselben Stelle, ebenfalls als Meinung, von Thomas Wallimann-Sasaki und Josef Grosse Kracht: »Der Markt ist für die Menschen da«. Dieser Artikel ist allerdings nicht öffentlich im Netz zu lesen (oder inzwischen doch?), Zwischentitel: »Von daher ist die vermeintliche ›Unternehmerfeindlichkeit‹ der katholischen Soziallehre nicht haltbar.«
   Wohl alle großen christlichen Kirchen haben sich in den letzten fünfzig Jahren einen Glauben gebastelt, der dem Menschen nichts abverlangt, und ihm einfach so den Himmel verspricht. Christentum soft. Eine Diskussion über Moral, »Morallehre«, gar »Soziallehre« wird da eher nicht geführt. Oder haben Sie bei aller Berichterstattung über Attentate irgendwo einen Apell an Moral gelesen? Die versuchen wir durch mehr Polizei zu ersetzen …
   Ich erinnere mich noch an Diskussionen in meinem Schulunterricht der Fünfzigerjahre über die Zulässigkeit von Kamikaze-Flügen (keinen Wikipedia-Eintrag dazu gefunden).

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