18. März 2007

Lanereien – Nachgedanken über Barcelona

Lan oder W-Lan, das war die Frage. Da waren wir in Barcelona, wenige knappe Tage auf einer Messe, und sollten berichten – noch bevor die Messe zu Ende war. Les- und Leserin wollen Neuigkeiten ja am liebsten schon kennen, noch bevor sie passieren. Und wenn nicht, so will’s der Redakteur schnell haben, damit er Zeit hat, schön »Blatt zu machen«. Auf jeden Fall liefen wir da mit unseren Laptops herum. Wir hatten sie immer im »Hintergrund« – ums computertechnisch auszudrücken – beziehungsweise im Rucksack – alpinistisch gesehen. Und der saß uns im Nacken.

Die Kollegin schrieb tagsüber, ich bevorzuge die Nacht. Ich glaube wenigstens. Viel darüber geredet haben wir nicht. Es ist einem ja peinlich zuzugeben, dass Texte erst durch Schreiben entstehen. Spannender war das Übertragen, das Liefern, das Loswerden. Denn was hilft schon ein Text, wenn er nur hier und nicht dort ist, wo er hin soll, eilig, hastig, trallala?

Moderne Laptops, inzwischen »Notebooks« genannt, haben eingebaute Modems – die man nur selten braucht – und dazu zeitgemäße Hochgeschwindigkeitsanschlüsse, eine Ethernet-Buchse für ein »lokales Netzwerk« (ein Lan) – die sind schon äußerlich etwas breiter als die Telefonbuchse – und, gänzlich unsichtbar, W-Lan oder WiFi oder wie man’s nennen mag, den drahtlosen Anschluss über Luft und Funk und gut Glück. Intel macht’s möglich und der geduldige »Äther« auf einer Frequenz für Industrie, Medizin und sonstig Störendes. Auf der Messe gab es zahlreiche derartige Funknetze. Zu jedem brauchte man einen eigenen Zugangsschlüssel, oder man musste sich anmelden, oder beides, oder – wie wir bald sehen würden – man kam gar nicht hinein. Selbst Messe-temporäre W-Lans sind verschlossen als bärgen sie den heiligen Gral; Gartenhäuschen geschützt wie Panzerschränke. Als Journalisten hatten wir kostenlosen Zugang zu einem »ätherischen« Pressenetz (›Ethernet‹), das denn auch in der Umgebung des Pressezentrums seine Ausstrahlung zeigte. Aber hinein kam man nicht.

So ein Nicht-Hineinkommen darf man sich nicht einfach wie einen Zaun vorstellen, der die Welt vernagelt. Da sieht man gleich, du kommst nicht weiter. Bei W-Lans meint man, man käme, und nach 35 Minuten – je nach Hartnäckigkeit – gibt man’s frustriert auf. Man klappt auf, man sucht’s Netz, man klickt und wartet, mit Glück erscheint eine Log-In-Seite, da gibt man unmerkbare Namen ein und ebensolche Schlüssel (hier: Username prss5pdp, Password: 4AT7JbuX), und dann passiert irgendetwas, nur nicht das, was man möchte. Also probiert man’s wieder. Startet einen anderen Browser. Und wieder. Man pingt ins Netz (Start, Ausführen, cmd für Command-Interpreter, OK, ping google.de; danach exit). Man flucht vor sich hin. Derweil zerrinnt die Zeit, die Messe-teure.

Ich hatte schon am Ende des zweiten Tages meine G’schicht geschrieben, abends, in der »Hütte«. Im Nobelhotel gab es ein W-Lan, »Princesa S.« hatte ein Einsehen. Das ging zur mitternächtlichen Geisterstunde, als ich mit dem Text soweit war, nur schemenhaft, »nicht wirklich«. War mein Text nun abgesandt? Saß er noch im PC? Ich hab’s dann aufgegeben, müde zur Nacht beziehungsweise zu Bett. Anderntags zeigte mein braver Blackberry, dass meine Mail um »00:26« abgegangen war. Ich hatte mir vorsichtshalber selbst eine Kopie geschickt. Uff!

Natürlich fiel mir danach noch bissl Dies und Das ein. Man sieht ja immer Neues auf so einer Messe, selbst am dritten Tag. Also habe ich das in den Text hineinkorrigiert, im Korrekturmodus, damit auf Empfängerseite schnell zu erkennen ist, was sich geändert hat. Texte werden bekanntlich redaktionell bearbeitet, und das macht keiner gern mehrfach.

Mittwochnachmittag dann, als mir wirklich nichts mehr einfiel, wollte ich diese letzte Ausgabe übermitteln. Bei T-Mobile gab es einen famosen W-Lan-»Hotspot« samt Snacks. Also ich pilgere dorthin, in luftige Höhen, denn bisschen abseits war’s schon. Ich hatte gehofft, dort die Kollegin zu treffen, die ihren Teil, den wichtigeren, von da aus hatte versenden wollen. Sie war nicht da. Kein Wunder, war doch auch sie in diesen »heißen Punkt« nicht hineingekommen. Man musste dazu mit einer hochsicheren Verschlüsselung, angeblich »WPA-PST«, und dem Passwort »Barcelona« ins Netz. Den »Wireless Protected Access Pre Shared Key« gibt’s in zwei Ausprägungen, bei mir noch »WPA2-PSK« mit »Datenverschlüsselung TKIP« oder »AES« – ja was jetzt? Probieren, probieren ... Vielen ist es gelungen. Nur uns halt nicht. Dafür waren die Fingerfood-Snacks essbar ohne Schlüssel und Besteck.

Ich pilgerte zurück ins Pressezentrum, hinten am Ende von Halle zwei, und ergatterte einen Platz im »Sweat-Shop«. So will ich einmal den Raum mit vielleicht achtzig Schirm an Schirm stehenden PCs nennen, alle fest ans Netz angeschlossen und an den Tisch gekettet. Davor sitzen heftig arbeitende Journalistinnen und Journalisten – meist freilich mit ihren eigenen Laptops. Das macht’s am Tisch noch enger. Zwischen den Stühlen, Taschen, Pressemappen und Kameras kommt man eh nicht durch. Also in diesem Sweat-Shop erangelte ich ein hinter dem Tisch hervorlugendes Ethernet-Kabel, wurde meinen letzten Text los, um 17.37 Uhr, und bingo. Weg war ich.

Abends schon beim gemütlichen Abendessen, downtown, nach Tapas und vor der Paella, in guter Gesellschaft mit einem Glaserl minder gutem Rotwein, da klingelt mein Handy. Roaming macht’s möglich. Die verzweifelte Kollegin mit ihrem Text. Sie kriegt ihn nicht los. Ob ich könnte? Sie sei noch auf der Messe. – Ja nun, aber wie? Da riet ich ihr zu meinem Festlan-Trick: Finde einen Ethernet-Anschluss, einen richtigen, gegenständlich-sichtbaren, und steck dich an. Sofort bist du im Netz, schneller als du schauen kannst. Sonst ruf’ nochmal an.

Sie rief nicht, sie simste – sparsam, wie wir uns haben. Alles habe geklappt, und danke, und ob sie noch zum Essen zurecht kommen könnte. Sie könnte, und konnte, und wir hatten alle mitsammen einen netten Abend, entspannt. Die Eier waren gelegt.

Mein »Ei« war allerdings eher eine Bombe. Am Tag darauf, gerade beim Umsteigen zwischen zwei U-Bahnen, rief die Redaktion an. Sie käme mit meinem Korrekturmodus nicht zurecht. Schnell, schnell soll ich den Text noch einmal schicken, ohne Korrekturzeichen, sozusagen in normaler Reinschrift. – Ja, habt ihr denn niemanden, der den Word’schen Korrekturmodus kennt? Und nein, ich könne das jetzt nicht aus dem Stegreif lehren (unter uns und später erforscht: Extras, Änderungen nachverfolgen, Änderungen annehmen, Alle Änderungen im Dokument annehmen, fertig). Die erlösende Idee kam dann doch aus der Redaktion: Wir probieren’s mal mit unserem journalistisch-freien Microsoft-Experten, vielleicht ist der telefonisch erreichbar. – Ich habe keine Ahnung, wie die Geschichte weitergegangen ist. Doch: Der konnte im Fluge den Korrekturbalken herbeizaubern, danke!

Dann kam mir die Idee: Ich könnte doch mit meinem Blackberry die an mich gesandte Kopie herumdrehen und der Redaktion schicken. Und richtig, Blackberry zeigte meinen Text mit den eingebauten Änderungen, war schlau genug gewesen, sie allesamt bona fide anzunehmen. Also »hob« ich den Text im Tunell an der Ecke von Linie L3 und L1 herüber in eine neue kleine Blackberry-E-Mail. Drei Portionen waren nötig, dreimal Cut and Paste, nichts vergessen, nichts verdoppeln. Und fast wäre mir der Text aus dem Blackberry auch hinaus in die Welt der Mails gegangen – wenn mir nicht gerade da die neue Software des kleinen Dings gemeldet hätte: »Nachrichtenstatus: Unable to look up the user info in database«. Ich habe dann noch meinen Psion 3mx aufgeklappt, unter mir den Koffer, links herum den Rucksack, rechts den Blackberry, und dort nach des Kollegen privater Mailadresse gesucht, vielleicht würde die ja dem Berry genehmer sein. Danach erneuter Versuch. »Unable to look up the user info in database«. Der Blackberry machte seinem Namen Ehre. Ich sah schwarz. »Wir« haben’s dann sein lassen, endgültig. Tage später habe ich dann in Ruhe den Fehler mit Web-es Hilfe wegbekommen und in der Wiki. nachgetragen

Die Moral von der Geschicht’: ›Mach dich verrückt nicht.‹ Laptop, bleib’ bei deinem Lan, dem festen. Außerdem sollten die Texte besser werden, wenn’s ruhiger zugeht.

15. März 2007

Friedhofssitten

An einem schönen Vorfrühlingstag bin ich über den riesigen Dortmunder Hauptfriedhof gewandert – mit 135 Hektar angeblich der größte Dortmunder Park. Breite Wege, alte Bäume, Friedhofsgärtner mit Leitern bei der Arbeit in einem Baum oder beim Rechen und Pflanzen und Gießen. Eine Bogenbrücke überspannt einen längst ausgetrockneten – oder künstlichen? – Wasserlauf . Ein englischer Garten fast, wären da nicht all die Grabstätten.
Ich kenne Friedhöfe hauptsächlich aus den Bergen, herum um Kirche oder Kapelle, mit kleinen, bescheidenen Gräbern. Heimelig richten sie die Gedanken selbst eines Fremden auf ihre Verstorbenen, die da mit Name und Bild vorgestellt werden. Dieser war Bauer, dann ist meist der Hofname mit angegeben, jener Lehrer oder Familienmutter, andere Beamten, Pfarrer. Ein ganzes Dorf tut sich vor einem auf, die Toten, die da ruhen, werden lebendig in den Gedanken, angestoßen von den an Grabstein oder schmiedeeisernem Kreuz mitgeteilten Einzelheiten – als gäben die Gräber Stichworte für den Phantasieeinsatz.

Ganz anders hier in Dortmund. Haupt- und Nebenstraßen sind begrenzt von mehr oder weniger pompösen Grabstätten. Riesige Steine, Menhire fast, halten unter Grund, was daraus nimmer auferstehen mag. Meist geht es wohl um Familien, anders sind die ausladenden Flächen nicht zu erklären. Und meist steht nur ein einziger Name auf dem Stein, in würdevollen Versalien: der Stammesname. Aus dem Alter der Schrifttypen mag man die Sterbepoche des hingeschiedenen Grabbegründers abschätzen, Bronze und Bauhaus scheinen dominierend (Der Friedhof wurde 1921 eröffnet.) Gerne sind die Steine asymmetrisch abgerundet, Granit, grau, Handschmeichler für den großen Geist, irgendeinem riesigen Gott zum Spielen. Da steht dann LÜKE, aufrecht, gut gesichert gegen das Umfallen, oder HARNACK, auf einer Bodenplatte. Ein MICHEL leistete mehr, bekam ein mir unbekanntes Handwerkszeichen, eine Art Löschwiege mit Stiel. Ungewollt komisch mag ein einsames SCHADE sein, auf Marmor, mahnend ein DUDA auf einem Wackerstein. Pompös bleibt es allemal. Hier ruhen nicht Einzelne in Gott, die man kannte und derer man sich weiter zu erinnern sucht, hier stoppte ein Mensch, vielleicht ein Magnat, eine Stammesmutter für immer und ewig. Das ist das Ende. SCHLOTTMANN steht da, mit Kreuz im Stein, HILLEBRAND bekam ein Alpha und ein Omega. Die Symbolik, wenn überhaupt, beschränkt sich auf steinmetzfreundliche Kreuze, eine Taube oder eben diese griechische Start- und Zielbezeichnung. Der Friedhof ist städtisch, da mögen viele die christliche Frömmigkeit aufgeklärt hinter sich gelassen haben, vor allem in Alter und Tod. Lieber nichts, als Umstrittenes, das werden sich die Erben gesagt haben.

Auf einem aufgelassenen Gräberfeld liegt einsam ein alter, verlassener Grabstein, wie hingeworfen schräg mitten auf der bemoosten Wiese vor einer riesigen Fichte. Ich trete näher heran, schaue nach dem verwitterten Datum: 18. 8. 1880 bis 4. 5. 1942. »Hier ruht in Gott mein lieber Mann unser guter Vater Anton Wippich«. Ja, der ruht noch, ein Einzelner, in Gott, blickt hinauf durch die Fichte in den blauen Himmel, oder von dort herunter auf mich Unvollendeten.

Wieder am Ausgang komme ich mit einem Mann im Trainingsanzug ins Gespräch, weil ich das frisch bepflanzte Grab seiner Frau fotografiert habe. Es ist das einzige Grab mit einem Bild, einem ovalen, so wie wir es in den Bergen haben. Ein riesiges Grab für eine Frau, voller frischer Blumen, und – mit Bild. Er erzählt mir, hier an der Hauptstraße seinen die Bestimmungen besonders genau, die Größe der Steine, ihre Art – es muss Natur sein, darf nicht geschliffen wirken – und freilich: Bilder sind ganz verboten. Sonst nimmt einem das städtische Bauamt das Grab nicht ab. Er aber stamme aus Bayern. So hat er sich erst einmal zur Zulassung einen Grabstein mit kleinem Kreuz machen lassen. Erst hinterher hat er selbst das Kreuz gegen ein Porzellanfoto getauscht. Nun müsse ihn die Stadt verklagen, wenn sie das Foto wegbekommen möchte. Das würde sie wohl nicht tun. Gewalt darf sie nicht anweden.

Nachdenklich fahre ich weg. Gedanken an die harte, religionslose Welt, an die großen, grauen, gnadenlosen Steine, ewig, nie verwelkend, nie rostend, und freue mich über den kleinen Bayer, der ihnen allen ein Schnippchen geschlagen hat für seine sel. Frau.